Das Selbst- und was es sein mag
“Das Selbst muss gebrochen werden, um Selbst zu werden.” - Kierkegaard.
“Man kommt auf die Welt und wird geprägt von seiner Umwelt, den Eltern von Schicksalsschlägen, Bildung und zufälligen Erfahrungen. Irgendwann sagt man dann wie selbstverständlich: Ich bin so und so., meint damit aber nur die Oberfläche, sein erstes Ich.
Um sein wahres Ich zu finden, ist es notwendig, alles in Frage zu stellen, was man bei der Geburt vorgefunden hat. Manches davon auch zu verlieren, denn oft lernt man nur im Schmerz, was wirklich zu einem gehört. Es sind die Brüche, in denen man sich erkennt.”
Diese Zeilen fand ich aus einem Buch auf meinem Handy wieder, weit vor meiner Trennung, dem verbundenen Schmerz und den daraus resultierenden Erkenntnissen. Es zeigte mir, dass alles auf einer Art vorbestimmt war, denn nicht ohne Grund sind diese Zeilen abfotografiert worden.
Nun fast ein Jahr später befinde ich mich auf einer neuen Reise und in einer neuen Beziehung, lerne eine neue Liebe kennen. Die Zeilen in dem Buch gehen weiter und beschreiben ganz gut mein jetziges Sein.
“Andererseits hab ich keine Ahnung, was passiert wäre, wenn mein Leben einfacher oder anders verlaufen wäre. Ich bin mir zum Beispiel nicht sicher, ob wir dann zusammengekommen wären. Ich hätte wahrscheinlich einen sorglosen, draufgängerischen Mann gesucht, weniger nachdenklich. “
Ich habe jemanden an meiner Seite, der mir immer wieder bewusst macht, wie ich in den letzten Monaten gewachsen bin, wie sehr ich angefangen habe mich zu lieben und für mich zu sorgen. In dem Buch gab es noch eine Zeile, die ich sehr passend fand.
“Gott will, dass wir lernen, selbst für uns zu sorgen.”
Mag es Gott oder wer auch immer sein. Es ist nun mal das Einzige was bleibt, wenn alles geht- das Ich. Doch was macht uns wirklich aus?
Wir wachsen auf in einem Geflecht aus Erwartungen, Überzeugungen und unausgesprochenen Regeln. Familie, Schule, Gesellschaft – all diese Systeme prägen uns. Sie geben uns Bilder davon mit, wer wir zu sein haben. „Du bist halt sensibel.“ „Du warst schon immer so.“ „So etwas macht man nicht.“ Es sind kleine Sätze, beiläufig ausgesprochen – doch sie formen uns tief. Wir passen uns an, oft unbewusst. Um dazuzugehören. Um geliebt zu werden. Um nicht aufzufallen.
Diese Prägungen können ein Leben lang wirken. Sie flüstern uns zu, was wir dürfen, was wir sollen, wer wir sind. Und so leben wir – scheinbar. Mit einem Ich, das funktioniert, das Erwartungen erfüllt, das an Grenzen glaubt, die es irgendwann still akzeptiert hat.
Aber dann kommen sie: die Herausforderungen.
Ein Bruch im Leben. Eine Krise. Eine Angst, die sich nicht mehr verdrängen lässt. Ein Moment, in dem nichts mehr so ist, wie es war. Und genau dort – in diesem Riss – zeigt sich, wer wir wirklich sind. Nicht das angepasste Ich, nicht die alte Geschichte. Sondern das wahre Selbst, das sich nicht aufgeben will.
Herausforderungen sind unbequem. Sie bringen uns an unsere Grenzen – und oft darüber hinaus. Aber genau dort passiert etwas Magisches: Wir beginnen, uns zu erinnern. An das, was jenseits der Prägung liegt. An das, was echt ist.
Denn nicht unsere Prägung macht uns stark – sondern unsere Entscheidung, uns von ihr nicht begrenzen zu lassen.
Ich habe in meinem eigenen Leben erfahren, wie viel Angst es machen kann, alte Identitäten loszulassen. Wie schwer es fällt, sich selbst neu zu begegnen. Und doch: Immer wenn ich dachte, ich verliere mich, habe ich mich in Wahrheit ein Stück näher zu mir selbst bewegt.
Es ist nicht das glatte Leben, das uns formt. Es sind die Risse, durch die das Licht fällt. Die Erfahrungen, in denen wir uns selbst überraschen. Die Momente, in denen wir sagen: „Ich kann das. Auch wenn es niemand von mir erwartet hätte.“
Wenn du dich fragst, wer du wirklich bist – dann schau nicht auf das, was man dir über dich erzählt hat. Schau auf die Wege, die du trotz deiner Angst gegangen bist. Auf die Entscheidungen, die du aus deinem Herzen getroffen hast. Auf die Kämpfe, in denen du gewachsen bist.
Du bist nicht deine Prägung. Du bist der Mensch, der sich entschieden hat, sich davon nicht klein halten zu lassen.
Und das – ist wahre Stärke.